Adolf Bartels (1862-1945) über "Polen", "Vagabunden" und die Wesselburener Familie Dunklau.
Adolf
Bartels, geboren in Wesselburen, gestorben in Weimar, kann als der
"Literarische Großvater der Nazis"[1]
bezeichnet werden: Im Jahre 1913 organisierte er den "Deutschen
Tag" in Eisenach, eine Versammlung völkischer Vereinigungen und
Verbände. In einer Rede aus dem gleichen Jahr erklärte er: „Wer
in unserer Zeit nicht Antisemit ist, der ist auch kein guter
Deutscher.“[2] Es war jenes Milieu des politischen Antisemitismus und Rassismus, aus
dem nach dem Ersten Weltkrieg auch die "Deutsche
Arbeiterpartei", die spätere NSDAP, hervorging.[3]
Bartels
veröffentlichte bereits 1924 eine Broschüre mit dem Titel "Der
Nationalsozialismus Deutschlands Rettung" und wurde 1925
Ehrenmitglied der NSDAP-Ortsgruppe Weimar.[4]
Seine antisemitische Agitation galt der Beseitigung des "jüdischen
Einflußes" auf das kulturelle Leben, wie schon in "Judentum
und deutsche Literatur" von 1912 deutlich wird.
Im
März 1914 erschienenen Bartels' Kindheitserinnerungen "Kinderland
- Erinnerungen aus Hebbels Heimat". Neben den auch hier
immer wiederkehrenden judenfeindlichen Stereotypen - zumindest
physisch waren im Wesselburen Bartels' jedoch kaum Juden anwesend - greift
er auch andere Gruppen von Menschen an, die in seinem ausgeprägt
rassistisches Weltbild keinen Platz haben sollen.
Er
liefert dabei Ansätze einer politischer Programmatik zur "Lösung"
der angeblich durch diese "Minderwertigen" verursachten
gesellschaftlichen Probleme, die Jahrzehnte später von den
Nationalsozialisten mit grausamer Konsequenz umgesetzt wurden.
Eine
dieser Gruppen, die erst in Bartels' Kindheit in Wesselburen in Erscheinung traten, waren die Arbeiter, die durch die von Charles de Voss 1869 erbaute
Zuckerfabrik angezogen wurden, wodurch Wesselburen in den 1870er
Jahren einen starken Zustrom von Menschen aus den preußischen
Ostprovinzen erhielt. Bartels schreibt es waren ""Ostpreußen",
wie man damals sagte, richtiger Polen".[5]
Bartels,
der zu Beginn des Buches seinen Stammbaum nennt und "mit
Stolz" angibt "rein deutschen, vielleicht sogar rein
germanischen Ursprungs" zu sein,[6]
verwendet die Bezeichnung "Pole"
in abwertender Weise für diese Menschen. Nachforschungen aus
anderen, neutralen Quellen, belegen, daß es sich zu Bartels' Zeit (bis 1877) in
der überwiegenden Mehrzahl um (Volks)Deutsche handelte, mit
deutschen Namen und protestantischer Konfession, die sogar eine Form des Plattdeutschen sprachen.[7]
Vermutlich war das äußere, "rassische" Erscheinungsbild dieser Menschen für Bartels der Grund, sie abzuwerten. Er stellt sie nämlich in Kontrast zu den auf der Zuckerfabrik ebenfalls tätigen Schweden, die er als "rassisch gutes Material" bezeichnet.[8] Er nennt die anderen sogar eine "Gefahr für unser Volkstum"[9] und vergleicht einen zwischen Schweden und "Polen" eskalierten Streit mit dem "Kampf der Hunnen und [germanischen] Burgunden im Niebelungenliede."[10]
Vermutlich war das äußere, "rassische" Erscheinungsbild dieser Menschen für Bartels der Grund, sie abzuwerten. Er stellt sie nämlich in Kontrast zu den auf der Zuckerfabrik ebenfalls tätigen Schweden, die er als "rassisch gutes Material" bezeichnet.[8] Er nennt die anderen sogar eine "Gefahr für unser Volkstum"[9] und vergleicht einen zwischen Schweden und "Polen" eskalierten Streit mit dem "Kampf der Hunnen und [germanischen] Burgunden im Niebelungenliede."[10]
Eine
andere Gruppe waren die "Monarchen". Es handelte sich um
saisonale oder dauerhafte Wanderarbeiter, die in der Zeit von Juli
bis Oktober beim Einbringen der Ernte im Akkord gebraucht wurden.
Bartels beschreibt die durch die Einführung der Dreschmaschinen
entstandene Arbeiterschicht mit äußerster Geringschätzung, wollte
man nicht richtigerweise sogar sagen Haß:
"Wir
haben in neuerer Zeit eine ziemlich ausgebreitete Literatur über das
moderne Vagabundentum erhalten: Wolfgang Kirchbach hat es in einem
Roman "Auf der Walze" geschildert, und ein jüngerer
Schriftsteller, Hans Ostwald, hat es, wohl von dem Russen Gorjki
angeregt, zum Gegenstand einer ganzen Reihe von Werken gemacht, wie
mich dünkt, nicht ohne einen sentimentalen, falsch humanitären Zug
in seiner Darstellung aufzuweisen. Ganz gewiss sind all die
verkommenen Existenzen, die unsere Landstraßen unsicher machen nicht
"moralisch" zu beurteilen, es sind vielfach Kranke, die ein
wirkliches Leiden dem Schnapse zutreibt, aber vom völkischen
Standpunkte aus sind sie doch quantité négligeable, und je eher sie
aussterben, desto besser ist es, selbst auf die Gefahr hin, daß die
Dreschmaschinen längere Zeit ihrer Bedienungsmannschaft entbehren
sollten."[11]
Diese
Passage enthält viel von dem, was das politische Regime 1933 bis
1945 umsetzen würde: Der "falsch humanitäre Zug",
der "Falschhumanismus" ist eine sprachliche Wendung,
die noch heute gelegentlich zur Rechtfertigung radikaler Maßnahmen verwendet wird.[12]
Demnach wäre es "falschhuman", nicht nur in
Bezug auf die Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf den sie
belastenden "Kranken",
diesen nicht von seinem "Leiden" durch einen
(zwangsweisen) "schönen Tod" (gr. "euthanasia") zu erlösen.
Bartels,
wenn er auch nicht von Mord, wohl aber von ihrem Tod spricht, wünscht
ihnen, den "verkommenen Existenzen", diesen herbei:
"Je eher sie aussterben, desto besser".
Von einem "völkischen [=
rass(ist)ischen]
Standpunkt" aus, seien sie eine "unerhebliche
Größe" (quantité négligeable), was nicht ihre Anzahl,
sondern ihren Nutzen für die Volksgemeinschaft meint.
Bartels
würde es sogar hinnehmen, daß ihr "Aussterben" ein
Stillstehen der Dreschmaschinen zur Folge hätte. Auch wenn er die
Dreschmaschinen selbst, wegen ihrer seiner Meinung nach negativen
Auswirkungen auf den altdithmarscher Landarbeiterstand kritisch
sieht, so wünscht er sich doch weniger deren Beseitigung, als die
der "Bedienungsmannschaften".
Außer
den Erscheinungen der Neuen Zeit, die die industrielle und
landwirtschaftliche Revolution in Wesselburen mit sich gebracht haben
und als deren negativste Auswirkung Bartels den Zuzug von "rassisch
Minderwertigen" zu betrachten scheint, gibt es eine Gruppe von
Menschen, die er weder weil sie ortsfremd, noch weil sie umherziehend
sind, kategorisch abwertet: Die ortsansässige unterste Schicht. Sie
wohnte v. a. am unteren Ende der Straße "Blankenau". Er
widmet ihnen eines seiner Kapitel:
"Schau
ich in die tiefste Ferne
Meiner
Kinderzeit hinab,
so
steigt doch auch mancherlei aus dem Grabe, was das „Lasciate ogni speranza“ auf der Stirn geschrieben trägt; da tauchen ganze
Familien empor, deren Art und Wesen so deutlich von der
Unmöglichkeit, aus ihnen nützliche Mitglieder der menschlichen
Gesellschaft zu entwickeln, sprach, daß mir heute alle soziale
Arbeit in dieser Richtung als Utopie erscheint. Und ob man sich noch
so eifrig vorzumachen strebt, es sei Schuld der Gesellschaft oder der
höheren Stände, daß diese Menschen so geworden: es ist Unsinn,
diese Geschlechter waren immer so und werden immer so sein, werden
alles, was sich von Reinerem und Besserem etwa zu sich verirrt, immer
mit hinab in den Schmutz ziehen. Denn Blut ist ein besonderer Saft,
und die Erbschaft des Blutes ist stärker als Erziehung und alles
andere, und es ist eine große Torheit, anzunehmen, daß alle
Menschen von Natur gleich seien; überall gibt es Tschandala."[13]
Wieder
finden wir den Determinismus des Blutes: Diesen Menschen können
keine sozialen Besserungsprogramme helfen, sie waren und blieben von
Natur aus unnütze
Elemente. Bartels unterstreicht dies pathetisch mit den Worten aus
Dante's "Göttlicher Komödie": "Laßt alle
Hoffnung fahren dahin." Im Verlauf des Kapitels nennt er
später das Einzelbeispiel eines Mannes ("Robertschlachters"),
der versucht habe sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, dann
aber "weil er sich nicht zu bezwingen vermochte" zum
Trinker und sogar zum Mörder seiner Frau geworden sei.[14]
Doch
wieder ist es damit nicht genug, daß diese Menschen sich selbst
zugrunde richten, sie gefährden auch jeden, der sich mit ihnen
einläßt. Bartels dafür das Beispiel eines Jungen aus der
Nachbarschaft (Phylax Petersen), zwischen dessen Kontakt zur
untersten Schicht im Alter von 12 bis 14 Jahren er eine Verbindung
zieht zu dessen frühen Tod, als er von seinem Schwiegervater, mit
kaum 30 Jahren in Notwehr erschlagen worden sei.[15]
Bartels
nennt nur zwei Familien als hervorstechende Beispiele jenes
verdorbenen Milieus namentlich: Eine Fischerfamilie, Rohde, die - was
allerdings eine Aufwertung darstellt - "gut Altdithmarscher
Herkunft gewesen" sei, und die Wesselburener
Schinderfamilie, Dunklau:
"Vielleicht
trug noch die alte Einschätzung des Schinder- als eines unehrlichen
Berufes dazu bei, daß sie sich keines besonderen Ansehens erfreute.
Doch war die eine Linie der von einem Armenvogt stammenden Familie
immerhin mehr geachtet als die andere, obschon auch sie einen etwas
bedenklichen Angehörigen zählte, der in Amerika lange unter den
Indianern gelebt hatte und das Feuerwasser jedenfalls zu schätzen
wußte. Zu der zweiten Linie trat unser Nachbarssohn Phylax Petersen
in den gefährlichen Jahren von zwölf bis vierzehn in nähere
Beziehungen, und es ergab sich, daß er eines Schlittschuhdiebstahls
überführt [...]
wurde.
[...]
Nur
einen Dunklau kenne ich, der es durch Arbeit bei uns zu etwas
gebracht hat, die andern sind meist nach Amerika gegangen."[16]
Die
Verurteilung der
Familien
Rohde
und
v. a. Dunklau
und
einiger nicht namentlich bekannter, die
am hinteren
Ende der Wesselburener
Straße
Blankenau
lebten
als unnütz, unverbesserlich und sogar schädlich für jeden
der sich auf sie einläßt,
reiht
sich
ein
in die
der
Fremd- und Wanderarbeiter. Als Lösung dieses "Problems"
empfiehlt
Bartels
indirekt
offenbar
das,
was etliche
dann freiwillig in den 1860er
bis
90er Jahren vorzogen:
Die Auswanderung
nach Amerika.[17]
Die einfache Arbeiterschaft der Straße
"Blankenau" dürfte Bartels' negative Meinung über sie in
der Weimarer Zeit noch bestätigt haben, als sie wohl zu den
eifrigsten Wählern der KPD gehörte. Als 1932 SA- und SS-Männer
versuchten das Haus des Norddeicher Kommunistenführers Friedrich
Detlefs im Fischerweg (der "Roten Straße") zu stürmen und
diesen zu töten, fand er Unterschlupf in Wesselburen Blankenau.
Der Tod oder die Emigration - auch die
Familie Rohde habe Wesselburen verlassen - sind in der Bartels'schen
völkischen Blutsideologie die einzigen Alternativen, die sich
diesen "Elementen" nur boten. Daß sich dies in den Jahren
1933 bis 1945 in unvorstellbarer Form verwirklichte, darf eigentlich
nicht verwundern, wenn man - wie hier gezeigt - die schon in einem
eigentlich unpolitischen Werk von 1914 vorhandene Vehemenz des
Angriffs bedenkt. Jahrzehnte vor dem Nazi-Regime erhoffte sich der
zum höheren Bildungsbürgertum aufgestiegene Adolf Bartels ein
"psychologisches und des weiteren pädagogisches Interesse"
an seinem Werk, damit "die kommende bessere Zeit [.] wieder
auf das Deutschtum gestellt sein wird."[18]
Heinrich
Dunklau (1900-1941) wurde ein
unmittelbares
Opfer des
vergifteten Denkens,
das den
vorsorglichen
Mord
zum
Schutze von
Gesellschaft,
Volk und
Rasse als letzte Konsequenz beförderte.
Pastor Johannes Wendt, der am 10.
November 1963, zum 25. Jahrestag der Progromnacht 1938, in der
Wesselburener Kirche predigte, drückte es daher drastisch
folgendermaßen aus: "Einer, der aber viel mehr Schuld auf
sich geladen hat als Eichmann und seine ausführenden Organe, war
Adolf Bartels aus Wesselburen."[19]
Kapitel "Die untere Schicht" aus: Adolf Bartels, "Kinderland - Erinnerungen aus Hebbels Heimat", Armanenverlag, Leipzig 1914, S. 248-253.
Kapitel "Die untere Schicht" aus: Adolf Bartels, "Kinderland - Erinnerungen aus Hebbels Heimat", Armanenverlag, Leipzig 1914, S. 248-253.
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[12] Wie in diesem Beitrag mit der Forderung im Kampf gegen die Überbevölkerung Eugenische Maßnahmen und Zwangssterilisierung anzuwenden, URL: http://www.mehr-demokratie-wagen.de/comments.php?op=showreply&tid=433&sid=183&pid=432&mode=&order=0&thold=0
[19] DER
SPIEGEL: Thing und Theater. 4/1965, S. 44-48; S. 44. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46169248.html
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