Diese Seite dient dem Andenken zweier Opfer des Nationalsozialismus aus Norddeich (Dithmarschen), deren Geschichte fast in Vergessenheit geriet:

dem des Landarbeiters August Dunklau (1895-1944), der den Kriegsdienst verweigerte und dessen Name bis heute auf dem Ehrenmal der Gemeinde Norddeich für die Gefallenen (sic!) verzeichnet ist, und seines Bruders Heinrich Dunklau (1900-1941), der ins KZ Sachsenhausen kam (als "Asozialer") und später in Pirna-Sonnenstein vergast wurde.

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Sonntag, 29. Juli 2012

"... werden alles in den Schmutz ziehen"

Adolf Bartels (1862-1945) über "Polen", "Vagabunden" und die Wesselburener Familie Dunklau.


Adolf Bartels, geboren in Wesselburen, gestorben in Weimar, kann als der "Literarische Großvater der Nazis"[1] bezeichnet werden: Im Jahre 1913 organisierte er den "Deutschen Tag" in Eisenach, eine Versammlung völkischer Vereinigungen und Verbände. In einer Rede aus dem gleichen Jahr erklärte er: „Wer in unserer Zeit nicht Antisemit ist, der ist auch kein guter Deutscher.“[2] Es war jenes Milieu des politischen Antisemitismus und Rassismus, aus dem nach dem Ersten Weltkrieg auch die "Deutsche Arbeiterpartei", die spätere NSDAP, hervorging.[3]
Bartels veröffentlichte bereits 1924 eine Broschüre mit dem Titel "Der Nationalsozialismus Deutschlands Rettung" und wurde 1925 Ehrenmitglied der NSDAP-Ortsgruppe Weimar.[4] Seine antisemitische Agitation galt der Beseitigung des "jüdischen Einflußes" auf das kulturelle Leben, wie schon in "Judentum und deutsche Literatur" von 1912 deutlich wird.
Im März 1914 erschienenen Bartels' Kindheitserinnerungen "Kinderland - Erinnerungen aus Hebbels Heimat". Neben den auch hier immer wiederkehrenden judenfeindlichen Stereotypen - zumindest physisch waren im Wesselburen Bartels' jedoch kaum Juden anwesend - greift er auch andere Gruppen von Menschen an, die in seinem ausgeprägt rassistisches Weltbild keinen Platz haben sollen.
Er liefert dabei Ansätze einer politischer Programmatik zur "Lösung" der angeblich durch diese "Minderwertigen" verursachten gesellschaftlichen Probleme, die Jahrzehnte später von den Nationalsozialisten mit grausamer Konsequenz umgesetzt wurden.

Eine dieser Gruppen, die erst in Bartels' Kindheit in Wesselburen in Erscheinung traten, waren die Arbeiter, die durch die von Charles de Voss 1869 erbaute Zuckerfabrik angezogen wurden, wodurch Wesselburen in den 1870er Jahren einen starken Zustrom von Menschen aus den preußischen Ostprovinzen erhielt. Bartels schreibt es waren ""Ostpreußen", wie man damals sagte, richtiger Polen".[5]
Bartels, der zu Beginn des Buches seinen Stammbaum nennt und "mit Stolz" angibt "rein deutschen, vielleicht sogar rein germanischen Ursprungs" zu sein,[6] verwendet die Bezeichnung "Pole" in abwertender Weise für diese Menschen. Nachforschungen aus anderen, neutralen Quellen, belegen, daß es sich zu Bartels' Zeit (bis 1877) in der überwiegenden Mehrzahl um (Volks)Deutsche handelte, mit deutschen Namen und protestantischer Konfession, die sogar eine Form des Plattdeutschen sprachen.[7]
Vermutlich war das äußere, "rassische" Erscheinungsbild dieser Menschen für Bartels der Grund, sie abzuwerten. Er stellt sie nämlich in Kontrast zu den auf der Zuckerfabrik ebenfalls tätigen Schweden, die er als "rassisch gutes Material" bezeichnet.[8] Er nennt die anderen sogar eine "Gefahr für unser Volkstum"[9] und vergleicht einen zwischen Schweden und "Polen" eskalierten Streit mit dem "Kampf der Hunnen und [germanischen] Burgunden im Niebelungenliede."[10]

Eine andere Gruppe waren die "Monarchen". Es handelte sich um saisonale oder dauerhafte Wanderarbeiter, die in der Zeit von Juli bis Oktober beim Einbringen der Ernte im Akkord gebraucht wurden. Bartels beschreibt die durch die Einführung der Dreschmaschinen entstandene Arbeiterschicht mit äußerster Geringschätzung, wollte man nicht richtigerweise sogar sagen Haß:
"Wir haben in neuerer Zeit eine ziemlich ausgebreitete Literatur über das moderne Vagabundentum erhalten: Wolfgang Kirchbach hat es in einem Roman "Auf der Walze" geschildert, und ein jüngerer Schriftsteller, Hans Ostwald, hat es, wohl von dem Russen Gorjki angeregt, zum Gegenstand einer ganzen Reihe von Werken gemacht, wie mich dünkt, nicht ohne einen sentimentalen, falsch humanitären Zug in seiner Darstellung aufzuweisen. Ganz gewiss sind all die verkommenen Existenzen, die unsere Landstraßen unsicher machen nicht "moralisch" zu beurteilen, es sind vielfach Kranke, die ein wirkliches Leiden dem Schnapse zutreibt, aber vom völkischen Standpunkte aus sind sie doch quantité négligeable, und je eher sie aussterben, desto besser ist es, selbst auf die Gefahr hin, daß die Dreschmaschinen längere Zeit ihrer Bedienungsmannschaft entbehren sollten."[11]
Diese Passage enthält viel von dem, was das politische Regime 1933 bis 1945 umsetzen würde: Der "falsch humanitäre Zug", der "Falschhumanismus" ist eine sprachliche Wendung, die noch heute gelegentlich zur Rechtfertigung radikaler Maßnahmen verwendet wird.[12] Demnach wäre es "falschhuman", nicht nur in Bezug auf die Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf den sie belastenden "Kranken", diesen nicht von seinem "Leiden" durch einen (zwangsweisen) "schönen Tod" (gr. "euthanasia") zu erlösen.
Bartels, wenn er auch nicht von Mord, wohl aber von ihrem Tod spricht, wünscht ihnen, den "verkommenen Existenzen", diesen herbei: "Je eher sie aussterben, desto besser". Von einem "völkischen [= rass(ist)ischen] Standpunkt" aus, seien sie eine "unerhebliche Größe" (quantité négligeable), was nicht ihre Anzahl, sondern ihren Nutzen für die Volksgemeinschaft meint.
Bartels würde es sogar hinnehmen, daß ihr "Aussterben" ein Stillstehen der Dreschmaschinen zur Folge hätte. Auch wenn er die Dreschmaschinen selbst, wegen ihrer seiner Meinung nach negativen Auswirkungen auf den altdithmarscher Landarbeiterstand kritisch sieht, so wünscht er sich doch weniger deren Beseitigung, als die der "Bedienungsmannschaften".

Außer den Erscheinungen der Neuen Zeit, die die industrielle und landwirtschaftliche Revolution in Wesselburen mit sich gebracht haben und als deren negativste Auswirkung Bartels den Zuzug von "rassisch Minderwertigen" zu betrachten scheint, gibt es eine Gruppe von Menschen, die er weder weil sie ortsfremd, noch weil sie umherziehend sind, kategorisch abwertet: Die ortsansässige unterste Schicht. Sie wohnte v. a. am unteren Ende der Straße "Blankenau". Er widmet ihnen eines seiner Kapitel:
"Schau ich in die tiefste Ferne Meiner Kinderzeit hinab, so steigt doch auch mancherlei aus dem Grabe, was das „Lasciate ogni speranza“ auf der Stirn geschrieben trägt; da tauchen ganze Familien empor, deren Art und Wesen so deutlich von der Unmöglichkeit, aus ihnen nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu entwickeln, sprach, daß mir heute alle soziale Arbeit in dieser Richtung als Utopie erscheint. Und ob man sich noch so eifrig vorzumachen strebt, es sei Schuld der Gesellschaft oder der höheren Stände, daß diese Menschen so geworden: es ist Unsinn, diese Geschlechter waren immer so und werden immer so sein, werden alles, was sich von Reinerem und Besserem etwa zu sich verirrt, immer mit hinab in den Schmutz ziehen. Denn Blut ist ein besonderer Saft, und die Erbschaft des Blutes ist stärker als Erziehung und alles andere, und es ist eine große Torheit, anzunehmen, daß alle Menschen von Natur gleich seien; überall gibt es Tschandala."[13]
Wieder finden wir den Determinismus des Blutes: Diesen Menschen können keine sozialen Besserungsprogramme helfen, sie waren und blieben von Natur aus unnütze Elemente. Bartels unterstreicht dies pathetisch mit den Worten aus Dante's "Göttlicher Komödie": "Laßt alle Hoffnung fahren dahin." Im Verlauf des Kapitels nennt er später das Einzelbeispiel eines Mannes ("Robertschlachters"), der versucht habe sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, dann aber "weil er sich nicht zu bezwingen vermochte" zum Trinker und sogar zum Mörder seiner Frau geworden sei.[14]
Doch wieder ist es damit nicht genug, daß diese Menschen sich selbst zugrunde richten, sie gefährden auch jeden, der sich mit ihnen einläßt. Bartels dafür das Beispiel eines Jungen aus der Nachbarschaft (Phylax Petersen), zwischen dessen Kontakt zur untersten Schicht im Alter von 12 bis 14 Jahren er eine Verbindung zieht zu dessen frühen Tod, als er von seinem Schwiegervater, mit kaum 30 Jahren in Notwehr erschlagen worden sei.[15]
Bartels nennt nur zwei Familien als hervorstechende Beispiele jenes verdorbenen Milieus namentlich: Eine Fischerfamilie, Rohde, die - was allerdings eine Aufwertung darstellt - "gut Altdithmarscher Herkunft gewesen" sei, und die Wesselburener Schinderfamilie, Dunklau:
"Vielleicht trug noch die alte Einschätzung des Schinder- als eines unehrlichen Berufes dazu bei, daß sie sich keines besonderen Ansehens erfreute. Doch war die eine Linie der von einem Armenvogt stammenden Familie immerhin mehr geachtet als die andere, obschon auch sie einen etwas bedenklichen Angehörigen zählte, der in Amerika lange unter den Indianern gelebt hatte und das Feuerwasser jedenfalls zu schätzen wußte. Zu der zweiten Linie trat unser Nachbarssohn Phylax Petersen in den gefährlichen Jahren von zwölf bis vierzehn in nähere Beziehungen, und es ergab sich, daß er eines Schlittschuhdiebstahls überführt [...] wurde. [...] Nur einen Dunklau kenne ich, der es durch Arbeit bei uns zu etwas gebracht hat, die andern sind meist nach Amerika gegangen."[16]
Die Verurteilung der Familien Rohde und v. a. Dunklau und einiger nicht namentlich bekannter, die am hinteren Ende der Wesselburener Straße Blankenau lebten als unnütz, unverbesserlich und sogar schädlich für jeden der sich auf sie einläßt, reiht sich ein in die der Fremd- und Wanderarbeiter. Als Lösung dieses "Problems" empfiehlt Bartels indirekt offenbar das, was etliche dann freiwillig in den 1860er bis 90er Jahren vorzogen: Die Auswanderung nach Amerika.[17]
Die einfache Arbeiterschaft der Straße "Blankenau" dürfte Bartels' negative Meinung über sie in der Weimarer Zeit noch bestätigt haben, als sie wohl zu den eifrigsten Wählern der KPD gehörte. Als 1932 SA- und SS-Männer versuchten das Haus des Norddeicher Kommunistenführers Friedrich Detlefs im Fischerweg (der "Roten Straße") zu stürmen und diesen zu töten, fand er Unterschlupf in Wesselburen Blankenau.

Der Tod oder die Emigration - auch die Familie Rohde habe Wesselburen verlassen - sind in der Bartels'schen völkischen Blutsideologie die einzigen Alternativen, die sich diesen "Elementen" nur boten. Daß sich dies in den Jahren 1933 bis 1945 in unvorstellbarer Form verwirklichte, darf eigentlich nicht verwundern, wenn man - wie hier gezeigt - die schon in einem eigentlich unpolitischen Werk von 1914 vorhandene Vehemenz des Angriffs bedenkt. Jahrzehnte vor dem Nazi-Regime erhoffte sich der zum höheren Bildungsbürgertum aufgestiegene Adolf Bartels ein "psychologisches und des weiteren pädagogisches Interesse" an seinem Werk, damit "die kommende bessere Zeit [.] wieder auf das Deutschtum gestellt sein wird."[18]

Heinrich Dunklau (1900-1941) wurde ein unmittelbares Opfer des vergifteten Denkens, das den vorsorglichen Mord zum Schutze von Gesellschaft, Volk und Rasse als letzte Konsequenz beförderte.
Pastor Johannes Wendt, der am 10. November 1963, zum 25. Jahrestag der Progromnacht 1938, in der Wesselburener Kirche predigte, drückte es daher drastisch folgendermaßen aus: "Einer, der aber viel mehr Schuld auf sich geladen hat als Eichmann und seine ausführenden Organe, war Adolf Bartels aus Wesselburen."[19]

Kapitel "Die untere Schicht" aus: Adolf Bartels, "Kinderland - Erinnerungen aus Hebbels Heimat", Armanenverlag, Leipzig 1914, S. 248-253.





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[1] Vgl. Steven Nyole Fuller: The Nazis’ Literary Grandfather. Adolf Bartels and Cultural Extremism, 1871–1945. New York u.a. 1996.
[2] Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Darmstadt 2001, S. 53.
[3] Adolf Hitler, der der Partei 1919 beitrat, kam mit ihr erstmals als "V-Mann" der Bayrischen Reichswehr Nachrichtenabteilung "Ib/P" in Kontakt die das politische Spektrum zu überwachen hatte (vgl. Ian Kershaw: Hitler 1889-1945. München 2009, S. 94ff.
[4] Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2007, S. 29.
[5] Adolf Bartels: Kinderland - Erinnerungen aus Hebbels Heimat. Berlin 1914, S. 367.
[6] Kinderland, S. 4.
[7] Rüdiger Möller: "Und mancher Slawe machte sich im Kirchspiel sesshaft“. Die Arbeiterschaft der Zuckerfabrik „Charles des Vos“ in Wesselburen, in: Demokratische Geschichte. Jahrbuch für Schleswig-Holstein 13 (2000), S. 59-80; S. 68ff.
[8] Kinderland, S. 376.
[9] ebd.
[10] Kinderland, S. 377.
[11] Kinderland, S. 375f.
[12] Wie in diesem Beitrag mit der Forderung im Kampf gegen die Überbevölkerung Eugenische Maßnahmen und Zwangssterilisierung anzuwenden, URL: http://www.mehr-demokratie-wagen.de/comments.php?op=showreply&tid=433&sid=183&pid=432&mode=&order=0&thold=0
[13] Kinderland, S. 249f.
[14] Kinderland, S. 252f.
[15] Kinderland, S. 251, 253.
[16] Kinderland, S. 251f.
[17] Von etwa einem Dutzend Angehörigen der Familie ist nachweislich bekannt, daß sie zwischen 1866 und 1895 nach Amerika übersiedelten.
[18] Kinderland, S. IX.
[19] DER SPIEGEL: Thing und Theater. 4/1965, S. 44-48; S. 44. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46169248.html